Ob man will oder nicht, man muss da durch
Das September Collective, März und Der Plan in der Volksbühne
Von Jens Balzer, Berliner Zeitung, 16.
12. 2004
Stadt am Tropf" hieß das Festival mit elektronischer Musik,
das die Volksbühne in der Nacht zum Mittwoch veranstaltete. Ein Titel,
der freilich nur beim eröffnenden Auftritt der "neuen Berliner
Supergroup" September Collective mit positivem Inhalt gefüllt
wurde: mit einem in der Tat äußerst vertropft dargebotenen
synthieflächenverkitschten Clicks-&-Cuts-Minimalismus, wie er
für die Berliner Musikproduktion der vergangenen Jahre typisch gewesen
ist. Die anderen beiden Bands, die den Abend bestritten, standen eher
für den Wunsch und den Willen, das stadttypische Laptoptropftum wieder
zu überwinden: durch die politische Weiterbestimmung der in Berlin
weidlich entpolitisierten elektronischen Musik.
(...)
Beliebte Erwecker von Faschismusverdächten sind ja auch die Mitglieder
der seit fünfundzwanzig Jahren bestehenden Düsseldorfer Gruppe
Der Plan; in Sachen diskursiver Entsubjektivierung sind sie März
dabei allerdings weit voraus. Bei ihren ersten Auftritten Ende der Siebzigerjahre
verkleideten sie sich als Mitglieder des Ku-Klux-Klan; ihre Bühnen
schmückten sie mit schön schimmernden Girlanden in Hakenkreuzform.
Einspruch: Weder das eine noch
das andere hat Der Plan je getan. Der Autor verwechselt den Plan offenbar
mit den "Residents". Eine verzeihliche Verwechslung; bösartig
wäre gewesen, dem Plan zu unterstellen, Lederjacken und Sonnenbrillen
getragen und auf E-Gitarren Rock gespielt zu haben.
Die Bühne der Volksbühne betraten sie am Mittwoch zur Geisterstunde
mit rhythmisch auf- und abgesetzten Masken von Arnold Schwarzenegger,
George W. Bush und Adolf Hitler; unter ewigkeitsmetaphorikausstrahlenden
Totenschädelgesichtern sangen sie alsdann die - auch für die
Botschaft von März gut als charakteristisch ansehbaren - Zeilen:
"Auch wenn die Welt verrückt ist / und unterdrückt ist
/ ich hab dich lieb."
Der tatsächliche Text lautet:
"Auch wenn die Welt verrückt ist / Und jeder arg bedrückt
ist / Ich leb doch!" und ist 24 Jahre alt.
In zahlreichen Rezensionen zur im Spätsommer erschienenen neuen
Plan-Platte "Die Verschwörung" wurde der Band vorgeworfen,
mit ihrer Art des postprovokativen Gebrauchs totalitärer politischer
Zeichen und der anhaltenden Auseinandersetzung mit den Problemen des Nationalsozialismus,
der deutschen Nation und des dazugehörigen Herbsts - wie etwa in
"Ulrike" oder "Deutschland, bleiche Mutter" - seien
sie auf einem historisch überwundenen Diskursniveau stehen geblieben.
Richtig daran ist, dass der vom Plan inszenierte Diskurs sich nur unwesentlich
von jenem unterscheidet, den Der Plan Ende der Siebzigerjahre führte.
Falsch ist hingegen die Annahme, dieser Diskurs sei historisch überwunden.
Anders als der gemeine linke Laptopfrickler zu glauben scheint, lösen
sich die künstlerisch zu beschreibenden politischen Probleme der
Subjektivierung und Entsubjektivierung nicht, indem man sie für ästhetisch
überholt erklärt;...
Hier formuliert Jens Balzer
einen brauchbaren Gedanken. Der Hauptfehler des von ihm zitierten Vorwurfs,
auf dem Diskurs-Niveau von 1980 stehen geblieben zu sein, besteht jedoch
darin, dass sich Der Plan selbst in seiner vierzehnjährigen Frühgeschichte
bis 1993 längst völlig gewandelt und die konstatierten Formen
und Inhalte seiner Anfangszeit bereits mehrfach transzendentiert hatte,
mithin der Rückgriff des Plans v.4.0 im Jahre 2004 nur als bewusster
Akt der Bezugnahme auf eine ganz bestimmte Zeit und ganz bestimmte Inhalte
interpretiert werden konnte. Alle Kritiker, die dem Plan einen Stillstand
vorgeworfen hatten (mehr als zwei waren es eh nicht), haben diesen Punkt
übersehen, und das obwohl Der Plan v.4.0 dieses Konzept in Interviews
und in den Linernotes seines aktuellen Albums selbst thematisiert hatte.
...wie man an der immer wieder von neuen stattfindenden Ausbildung von
halluzinierten Großraumsubjekten wie der "Nation" oder
dem "Volk" problemlos beobachten kann. Der Eindruck des Veralteten,
den Der Plan in seiner Verklammerung in der "deutschen" Geschichte
auch in der Volksbühne wieder erweckte, widerspiegelt nur sachangemessen
die unheimliche Überalterung gegenwärtiger politischer Debatten
- ob man will oder nicht, man muss da durch.
Siehe oben: Bereits im Jahre
1985 hat Der Plan - als einzige kulturelle Stimme, die eindeutig nicht
dem alten rechten politischen Lager zuzuordnen war - die Überwindung
des eisernen Vorhangs gefordert und Osteuropa zur neuen Herausforderung
erklärt (siehe "Fette Jahre"). Diese Haltung wurde seinerzeit
komplett ignoriert oder missverstanden.
Unnötig zu sagen, dass sich Der Plan als einzige Band der jüngeren
Popgeschichte in befriedigender Weise mit der deutschen Wiedervereinigung
befasst haben: Ihr altes Stück "Da vorne steht 'ne Ampel"
- "ich will nicht nur bei rot stehen / ich will auch mal bei grün
stehen / ich will nicht nur bei grün gehen / ich will auch mal bei
rot gehen" - haben sie durch die Aufnahme ostdeutscher Ampelmännchen
in ihrer Videopräsentation tadellos auf die Höhe der Zeit gebracht.
Nicht jedes Comic-Element ist
gleich ein Diskurs, da sollte Cartoon-Spezialist Jens Balzer sich eigentlich
ein bisschen locker machen. Die Ampel-Männchen waren bei der Produktion
des Videos einfach im Internet verfügbar.
Lieber Jens, wir danken für
den anregenden Diskurs!
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